Reizdarmsyndrom

Das Reizdarmsyndrom (RDS), auch Colon irritabile oder Irritable Bowel Syndrom (IBS) genannt, gehört mit einer Häufigkeit von 10–15% zu den meist vorkommenden Erkrankungen des Verdauungstrakts.

Definition der Kriterien

Drei Kriterien hat man für das RDS definiert:

  1. länger als 3 Monate bestehende chronische Darmbeschwerden (zum Beispiel Bauchschmerzen und Blähungen), die mit einer Stuhlveränderung einhergehen
  2. Die Beschwerden sind so stark, dass der Patient einen Arzt aufsucht und sich in seiner Lebensqualität beeinträchtigt fühlt.
  3. Es liegen keine anderen für die Symptomatik verantwortlichen Erkrankungen vor.

Bei Kleinkindern und Kindern werden noch speziellere Kriterien herangezogen, da die Anamnese bei ihnen teilweise schwer zu erfragen ist. Von einem RDS geht man bei ihnen aus, wenn Schmerzen oder Unbehagen im Abdominalbereich für mindestens 3 Tage pro Monat in Assoziation mit mindestens 2–3 der folgenden Faktoren auftreten:

■ Besserung der Beschwerden nach dem Stuhlgang

Individuelle Ausprägung der Symptome RDS-Patienten haben häufig viele verschiedene Symptome. Je nach Hauptsymptomatik wird die Erkrankung in verschiedene Formen unterteilt:

■ Diarrhödominantes RDS (ca. ein Drittel der Fälle)

■ Obstipation-dominantes RDS (ca. ein Drittel der Fälle)

■ gemischtes RDS (Diarrhö und Obstipation im Wechsel)

■ Schmerz- / Meteorismus-dominantes RDS

Typische gastrointestinale Symptome des RDS sind:
■ intermittierende, krampfartige Bauchschmerzen wechselnder Intensität
■ Stuhlunregelmäßigkeiten (Diarrhö,Obstipation)
■ Blähungen
■ Völlegefühl
■ Nahrungsmittelunverträglichkeiten
■ Schleim im und auf dem Stuhl Daneben berichten Patienten häufig auch über verschiedene Beschwerden, die nicht auf den Verdauungstrakt bezogen sind:
■ Kopfschmerzen und Migräne
■ Rücken- und Gelenkschmerzen
■ Müdigkeit und Leistungsschwäche
■ Schlafstörungen
■ Menstruationsbeschwerden
■ Angststörung, Depression
Häufigkeit und Intensität der Symptomatik variieren von Patient zu Patient. Sie können durch Umwelteinflüsse wie Reisen, Stress, belastende Lebenssituationen und Ernährungsveränderungen verstärkt werden.

Osteopathisch findet man bei Betroffenen oft viszerale, fasziale und parietale Dysfunktionen, die einen Zusammenhang mit einigen der typischen RDS-Beschwerden wie Rücken- und Kopfschmerzen verdeutlichen.

Diskutierte Auslöser

Die Ursachen des RDS können bis heute nicht umfassend erklärt werden. Man vermutet ein multifaktorielles Zusammenspiel von physiologischen (zum Beispiel eine gestörte Darmmotilität) und psychosozialen Ursachen sowie Umweltfaktoren.

In einigen Studien trat das RDS häufiger nach einer vorangegangenen Gastroenteritis auf, insbesondere nach einer Clostridieninfektion in der Folge einer Antibiotikaeinnahme. Das Vorkommen eines RDS 3–24 Monate nach Infektion betrug nach einer Studie von Spiller et al. zwischen 3,7 % und 36 %. Damit erhöht sich das Risiko für ein RDS nach bakterieller Enteritis um das 8- bis 15-Fache.

Mikrobiom und Darmpermeabilität

In den letzten Jahren wurde eine Veränderung der Darmflora beziehungsweise des Mikrobioms als Ursache oder Folge des RDS diskutiert.

Das Mikrobiom verändert sich insbesondere nach bakterieller Darminfektion oder Antibiotikagabe und kann zu enteralen Entzündungsprozessen und zu einer veränderten Darmpermeabilität führen. Es wird vermutet, dass dem RDS eine intestinale Barrierestörung zugrunde liegt. Die Darmpermeabilität kann auch etwa durch psychischen Stress, Medikamente, Alkohol, Nikotin oder Allergene empfindlich gestört werden. Als Folge des Barrieredefekts in der Darmmukosa (Leaky Gut) können Inhaltsstoffe, vor allem pathogene Mikroorganismen und Antigene, aus dem Lumen in die Darmwand hineindiffundieren. Das führt dort unter anderem zur Mastzell- und Immunaktivierung. Es werden Interleukine und andere Botenstoffe wie Histamin freigesetzt und beeinflussen die Zusammensetzung und Konzentration der Neurotransmitter des enterischen (Darm-)Nervensystems. Diese Barrierestörung wird nicht nur als Auslöser des RDS diskutiert, sondern auch zum Beispiel mit Allergien, Unverträglichkeiten und Autoimmuner- krankungen in Verbindung gebracht.

Neuronale Prozesse und Psyche

Bei einem RDS sind jedoch nicht nur die gastrointestinale Motilität, Permeabilität und Sekretion gestört, sondern auch zentrale sensorische Prozesse und die viszerale Sensibilität unter Einfluss einer Veränderung des Mikrobioms .

Bei einigen RDS-Patienten finden sich genetische Veränderungen, die man auch bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen nachgewiesen hat. Außerdem kann die Psyche die Verdauungsfunktion beeinflussen und spielt so direkt oder indirekt eine Rolle bei der Ausprägung der Symptome. Viele RDS-Patienten berichten über stärkere Symptome, wenn sie unter Stress stehen. Der Forschungszweig der Psychomikrobiotik beschäftigt sich mit möglichen Wechselwirkungen zwischen Darmzustand und psychischen

Osteopathisch unterstützen

Einige Studien und Untersuchungen haben ergeben, dass eine osteopathische Behandlung bei RDS insbesondere Bauchschmerzen lindern und weitere funktionelle Beschwerden verbessern kann. 2012 zeigte Florance et al. in einer Pilotstudie , dass eine viszerale Behandlung im Vergleich zu einer Massagetherapie deutlich positivere Effekte auf subjektive Parameter wie die Lebensqualität und die Schwere der RDS-Symptomatik hatte. 2014 veröffentliche Müller et al. ein systematisches Review fünf verschiedener Studien über die Auswirkungen von osteopathisch manipulativen Therapien auf die Symptome bei RDS. Darin konnten sie einen signifikant positiven Effekt auf Bauchschmerzen oder funktionelle Beschwerden im Vergleich zu Scheinbehandlung oder Standardtherapie verdeutlichen. Ein Review (Übersicht) von Krüger zu vier anderen Studien zur osteopathischen Behandlung bei RDS kam zu ähnlichen Ergebnissen. Die osteopathischen Behandlungen mittels lokalen viszeralen Mobilisationstechniken und der Behandlung des Vegetativums erzielten positive und mehrheitlich signifikante kurz- und mittelfristige Effekte auf Lebensqualität, abdominale Schmerzen und zum Teil auf weitere reizdarmspezifische Krankheitssymptome.

Diese Studien zeigen, dass eine osteopathische Behandlung als Begleittherapie zur schulmedizinischen Herangehensweise sinnvoll ist.